Mein Android-Geschichte Kapitel 9
Kapitel 9: Das Wileyfox Storm
Der friesische Ex-Kollege macht mich auf den britischen Hersteller Wileyfox aufmerksam. Die kaufen ihre Komponenten von den namhaften Premium-Herstellern, bauen daraus Telefone, installieren Cyanogen OS (die kommerzielle Variante von Cyanogen) und verkaufen das Ergebnis zu einem durchaus attraktiven Preis. Ich entscheide mich für das 5,5-Zoll-Modell "Storm", das mit Achtkern-CPU, SD-Slot, Dualsim, Full-HD-Display, 3 GB RAM und 32 GB Speicher durchaus respektabel ausgestattet ist. Für knapp 300 Euro schenke ich mir das Gerät 2016 zum Geburtstag.
Und ich bin zufrieden. Es ist stabil, akzeptabel flott, hat genug Speicher, das Display hat genau die richtige Größe, und ich erwische mich erstmals dabei, nur mit einem Gerät aus dem Haus zu gehen: Das Tablet bleibt (auch aufgrund des defekten Digitizers, siehe Kapitel immer häufiger zuhause und ich vermisse nichts. Für die Installation eigenee Firmware kann man den Bootloader mit einem Schiebeschalter in den Development Options entsperren, ein sehr fairer Zug. Allerdings ist nirgendwo dokumentiert, was nach dem Umlegen dieses Schalters mit der Herstellergarantie passiert.
Das einzige, was ich am Wileyfox auszusetzen habe ist, dass es nur 2,4 GHz WLAN kann und dass man sich dank Kombislot aussuchen muss, ob man zweite SIM oder SD-Karte verwenden möchte. Da ich aber aus dem Kauf des letzten iPhones sowieso noch einen für mich brauchbaren Vertragstarif (wenig Minuten, dafür in alle Netze, und etwas mehr Highspeed-Datenvolumen) in der Schublade liegen habe, wandert diese SIM in das Wileyfox, so dass ich auf das Dual-SIM-Feature des Wileyfox verzichten kann.
Und es gelingt mir nicht, ein Backupfähiges Recovery-Image aufzuspielen. Der Flash-Vorgang ist erfolgrech, und nach dem nächsten Reboot ist wieder der Originalzustand hergestellt. Internet-Recherche legt nahe, dass es sich inzwischen eingebürgert hat, dass Android-Herstellerfirmwares beim Booten prüfen, ob "ihr" "richtiger" Bootloader / Recoverycode präsent ist und im Falle, dass die Checksummen nicht passen, einfach der "eigene" Zustand wiederhergestellt wird. Das kann man so interpretieren, dass man daran interessiert ist, immer ein lauffähiges Recovery-Image zu haben, aber natürlich behindert es auch den Einsatz eigener Komponenten. So kommt es dazu, dass ich wieder mal nahezu ein Jahr ohne Backup unterwegs bin.
Mit einem Feature der Android-Telefone bin ich durch die Bank unzufrieden: Telefonieren mit den Dingern geht gar nicht. Die Qualität ist einfach zu schlecht. In die Reihe der schlecht telefonierenden Telefone reiht sich das Wileyfox lückenlos ein. Während das iPhone teilweise glasklar telefoniert, ist die Kommunikation mit Android bei allen bisher in meinem Besitz gewesenen Geräten scheppernd, voller Aussetzer und generell nicht zufriedenstellend.
Im Mai 2017 erkenne ich, dass es zur Kommunikation mit Nichtnerds nicht ohne Whatsapp geht. Während meine Cousine sich zu Threema überreden lässt, beisse ich bei meinen teilweise über 70jährigen Tanten auf Granit: Whatsapp oder telefonieren. Gegen Whatsapp hatte ich mich bisher immer erfolgreich sperren können, weil ich nicht damit einverstanden bin, dass im wesentlichen mein ganzes Adressbuch bei Facebook landet. Anonymisiert oder nicht, nach dem holländischen Gutachten von 2013 sind es genug Daten, um zu wissen, mit wem ich Kontakt habe und mit wem nicht. Und wer weiß, was für Gemeinheiten nach dem Gutachten in den Code geflossen sind.
Beim Thema Update ist die Erfahrung mit Wileyfox immerhin positiver als die mit Sony und Samsung: Das Gerät bekommt etwa alle zwei Monate Over the Air ein neues Image verpasst; die Updates sind stets problemlos. Ich meine mich daran zu erinnern, sogar einmal ein Major-Update auf diesem Weg erhalten zu haben.
In diese Zeit fällt die Geschichte mit dem Zerfall von Cyanogen in LineageOS und eine ziemlich schnell ziemlich tote kommerzielle Version, so dass die Updates von CyanogenOS versiegen. Nach gefühlt viel zu langer Wartezeit kommt ein Over-the-Air-Update von CyanogenOS auf ein Wileyfox-eigenes System, das sich weitgehend anonym als "Wileyfox, powered by android" meldet und ein Android 6 ist. Auch dieses Update ist zunächst völlig reibungslos, bis nach etwa zwei Wochen der - vermutlich selbst verursachte - Ärger los geht.
Zusammen mit den Telefonieproblemen entscheide ich, wieder auf eine Zwei-Geräte-Strategie umzusteigen: Das Gerät mit der Aufgabe "Smart" hat die SIM mit dem günstigen Datentarif, Whatsapp installiert, dafür aber keine Kontakte im Adressbuch (außer denen, die wegen Whatsapp dort stehen müssen, die sind mir aber egal, weil hier die Gegenseite bereits die Datenschutzverletzung begangen hat), das Gerät mit der Aufgabe "Phone" hat die Kontakte und den Telefontarif.
Dabei habe ich das Wileyfox mit der Aufgabe "Smart" betraut, da ich mir ja bereits bewusst bin, dass das Wileyfox nur wenig zufriedenstellend telefoniert, und ich für die Aufgabe "Phone" ein günstigeres Gerät (siehe Kapitel 10) beschafft habe.
So werden schließlich irgendwann die Kontakte aus dem Wileyfox-Gerät mit einer total werbedurchfluteten App unter Netzwerkentzug in eine große vcf-Datei exportiert, diese Datei per Bluetooth auf das "Phone" übertragen und dann die App wieder entfernt. Nach dem in Kapitel 10 beschriebenen Datenverlust durch Dummen Benutzer mache ich mich mit einem Dateimanager auf die Suche nach der .vcf-Datei im Dateisystem des Wileyfox. Während dieser Arbeit - obwohl ich mir nahezu sicher bin, nur lesende Operationen durchgeführt zu haben - friert das Telefon ein und befindet sich fortan in einer Bootschleife: Es startet, man kann die PIN für die SIM und die PIN für das Telefon eingeben und hat dann ca für zehn Sekunden ein benutzbares Telefon in der Hand, bevor es wieder bootet.
Wileyfox stellt seine Herstellerfirmware aus mir unerklärlichen Gründen nicht zum Download bereit. Eine Anfrage an den Support wird nach viel zu langer Zeit mit einem kryptischen Link auf einen Download-Server beantwortet, wo die Firmware nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung steht. Diese Firmware lässt sich mit dem auf dem Gerät vorhandenen Recovery-Image flashen; jedoch bleibt das Problem der Bootschleife bestehen. Wir haben also defekte Hardware, oder die Firmware ist mit irgend einem Aspekt meiner Daten derart unzufrieden, dass ihr außer dem Sprung aus dem Fenster keine weitere Alternative bleibt.
Aber ich möchte an die Daten ran. Einige Zeit geht mit erneuten - erfolglosen - Versuchen zum Boot eines (leider inoffiziellen) TWRP verloren, weil ich zusammen mit einigen netten Menschen von xda-Developers versuche herauszufinden, warum TWRP die SD-Karte nicht sehen mag. Schließlich kaufe ich einen USB-OTG-Adapter, und schwupps, wird der so angehängte USB-Stick erkannt und ich kann - endlich - meine hoffentlich noch vorhandenen Daten sichern.
Auf dem PC angekommen, packe ich die Backups aus (geht problemlos, das sind tarfiles) und finde dort eine calendar.db und eine contacts2.db in realistischer Größe vor. Auch die Feedliste meines Feedreaders ist eine .db-Datei, und der SQLite-Client zeigt die vollständigen Daten. Also ist erstmal Durchatmen angesagt, der Rest der Daten auf dem Gerät ist mir wurschd.
Der Originalzustand der Kontaktdatenbank vor meiner voreiligen Löschaktion bleibt allerdings verloren; die vcf-Datei muss beim Löschen der Export-App mit abgeräumt worden sein. Ich sage aber immer selbst, wenn es kein Backup gibt, waren die Daten nicht wichtig. So beiße ich die Zähne zusammen, freue mich über den vollständig erhaltenen Terminkalender und mache weiter.
Nach einem Clean der Datenpartition lässt sich das Gerät problemlos im Factory-Zustand booten und es läuft auch fein und stabil. Die Hardware ist also auch in Ordnung. Gegenprobe: Nach dem Restore meiner Daten ist auch die Bootschleife wieder hergestellt.
Im IRC lerne ich, dass man mit adb shell auf einem angeschlossenen Linux-Rechner eine Shell auf dem Gerät bekommen kann. Dort kann man mit "stop" quasi das komplette Android-Userland stoppen. Das sieht auf dem Gerät wie ein Absturz aus, denn das komplette Display wird schwarz. Die Shell bleibt jedoch bedienbar, und ich hoffe, dass in diesem Zustand auch alle auf die Datenbanken zugreifenden Prozesse nicht laufen, so dass ich dem Android nun die oben erwähnten drei *.db-Dateien an der richtigen Stelle auf die harte Tour unterschieben kann. Ein darauf folgendes "start" lässt das Userland erneut booten. Das sieht auf dem Display so aus als hätte man das Telefon gerade erst eingeschaltet.
Dummerweise ist das Userland mit diesen Datenbanken noch unzufriedener als mit dem vollständigen Backup und kommt gar nicht erst zuende hoch. Nun ist guter Rat teuer. Aber ich erinnere mich daran, dass Android die Sicherheit ernst nimmt, und vermute dass root:root gehörende .db-Dateien in einem Verzeichnis, das einem u_irgendeinenumer gehört, nicht richtig sein kann. Ich wipe das Gerät nochmal und schaue mir die Owner der Dateien im funktionierenden Zustand an. Dann schiebe ich meine Daten wieder an die richtigen Stellen und sorge diesmal auch für korrekten Owner und korrekten Mode. Der nächste Startversuch misslingt jedoch ebenfalls, bis ich - ebenfalls wieder mit IRC-Unterstützung - auf die Idee komme, dass Android ja auch SELinux unterstützt. Mit dem richtigen SELinux-Kontext auf den .db-Dateien kommt das Userland diesmal auch korrekt hoch, und - hier düft Ihr Euch einen jubelnden Zugschlus vorstellen - meine Daten sind sichtbar.
Da ich inzwischen - siehe Kapitel 10 - das "Phone" auf einem aktuellen LineageOS mit Android 7 habe, möchte ich das nun auch mit dem Wileyfox haben. Durch die Erfahrungen mit dem Nexus 5 weiß ich jetzt auch, in welcher Reihenfolge man flashen muss, und reibungslos wandern das inoffizielle TWRP und das offizielle LineageOS auf das Gerät. Auch geflashed erkennt das TWRP keine SD-Karte. Das ist mr aber inzwischen egal, denn der Umgang mit dem USB-OTG-Adapter und einem normalen USB-Stick ist auch für Backups erheblich weniger fummelig als die winzige, mit der SIM-Karte zusammen in einer einzigen Schublade verstaute SD-Karte.
Durch das Flashen von TWRP muss sich irgend eine Geräte-ID geändert haben, jedenfalls mag das TWRP keins meiner vor dem Flash angefertigten Backups sehen. Das lässt sich einfach heilen: Einfach mit dem geflashten TWRP ein Backup des leeren Gerätes machen und das Backup des alten Betriebssystems in das vom neuen TWRP angelegte Verzeichnis verschieben. Dann kann man es restoren, und das Gerät verhält sich wie bei einem Update von Android 6 auf Android 7: Der erste Start dauert ewig und danach ist alles da.
Fein, denke ich mir, Endzustand erreicht. Das "Phone" wird seiner "Smart"-Funktionen wieder beraubt, die Apps deinstalliert und ich lebe mit zwei Telefonen und Whatsapp wie es hätte sein sollen.
Etwa eine Woche lang. Dann werfe ich das frisch mit neuer Firmware versehene Wileyfox auf den Fliesenboden in unserer Diele, und während es die circa zehntausend Stürze an diversen Plätzen inklusive außen jeweils überlebt hat, war es das: Die Spider-App ist installiert, der Digitizer komplett kaputt. Das Gerät ist völlig unbedienbar. Ich probiere das, was man im Netz für solche Situationen liest: Über den USB-OTG-Adapter wird eine USB-Maus angeschlossen. Und tatsächlich, es erscheint ein Mauszeiger und ich kann das Gerät bedienen. Tippen ist allerdings lästig.
Nach dem Reboot zwecks eines letzten Backups passiert die Katastrophe: Das Display bleibt schwarz und es tut sich nichts mehr. Kein Recovery, kein Bootmanager. Vermutlich findet der Selbsttest keinen Digitizer, ist darüber völlig unglücklich und verweigert die weitere Mitarbeit. So muss ich mir dann auch keine Gedanken machen, wie ich Maus und USB-Stick zum letzten Nandroid-Backup dieses Gerätes gleichzeitig anschließen kann.
Bei Ebay bestelle ich ein neues Wileyfox Storm, das innerhalb von zwei Tagen geliefert ist. Da ich mit der Flasherei noch in Übung bin (inzwischen habe ich auch noch mit dem Asus Zenfone eines Kollegen Android flashen üben dürfen), ist das Gerät innerhalb einer halben Stunde entsperrt, mit aktuellem TWRP und LineageOS versorgt. Das Restore des alten Datenbestands braucht den Trick mit der Geräte-ID im Verzeichnisnamen und dauert dann nochmal eine halbe Stunde, und schon kann ich im alten Zustand weiterarbeiten.
Im Wileyfox habe ich aktuell eine 128-GB-SD-Karte mit Podcasts und Osmand-Karten und eine T-Mobile-Daten-SIM. Ich kann mit dem Gerät also gar nicht telefonieren (werde es aber bald mal mit VoIP probieren). In der Praxis zeigt das Gerät einen lästigen Bug: Etwa einmal in der Woche weigert sich das Gerät, die SIM-Karte als Internetquelle zu akzeptieren. Das Gerät ist eingebucht, ich sehe Feldstärke, aber es steht kein Buchstabe an der Feldstärkeanzeige, und es gehen keine Daten. Das verhält sich also so, als hätte es den Mobilfunkteil wegen "ich habe WLAN" stillgelegt - nur, dass dieser Betriebszustand auch dann anhält, wenn kein WLAN mehr vorhanden ist.
Und nichts hilft: Mobile Daten aus/an, Flugmodus an/aus, keiner der gängigen Tricks belebt das Mobilfunk-Internet, außer einem Gerätekaltstart. Ich versuche etwas positives daraus zu ziehen: das Gerät erinnert auf diese Weise hartnäckig daran, dass mal wieder ein Backup fällig ist. Da das mit LineageOS versorgte Nexus eine ganz ähnliche Macke zeigt, vermute ich, dass es sich hierbei wirklich um einen Betriebssystem-Bug handelt.
Das alte, kaputte Storm möchte ich gerne reparieren lassen. Mit diesem Anliegen blitze ich bei zwei Telefon-Reparatur-Shops ab; der dritte sagt, er würde mir ein neues Display einbauen, wenn ich das Ersatzteil beschaffe. Das ist - Aliexpress sei dank - kein größeres Problem, aber zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht in Angriff genommen. Ich werde berichten.
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